Schlaf und Vollmond 2 – die Studie der Cajochen-Gruppe

Hier im zweiten Teil (erster Teil siehe hier) möchte ich ein paar Worte über die Basler Vollmond-Studie 2013 selbst verlieren.

Constant Routine

Die Teilnehmer an dieser Studie folgten einem constant-routine-Protokoll. Die constant routine ist heute die Methode der Wahl, wenn man chronobiologische Fragen untersuchen möchte. Schließlich ist die zirkadiane biologische Rhythmik bekannt, die braucht man nicht mehr untersuchen. Weil die constant routine sehr aufwendig ist, ist die Zahl der Studienteilnehmer notwendig beschränkt. In diesem Fall waren es 33. Anders als Daniel Fischer moniert, sind das für eine solche Studie ziemlich viele.

Jede der 33 Personen lebte zweimal für je 3,5 Tage in einem Abstand von mindestens einer Woche in einem Raum (genau: 84 Stunden). Dort lag er oder sie in der Regel bequem bei 21°C und acht Lux Helligkeit. Die ganze Zeit wurde ein EEG mit zwölf Kanälen aufgezeichnet.

Es handelte sich um ein Schlafentzugsexperiment mit der Frage, wie sich Schlafentzug auf das nachfolgende Schlaf-EEG auswirkt. Deshalb war auch außen herum alles perfekt kontrolliert, was den Schlaf sonst noch beeinflussen könnte, von Kaffee und Alkohol bis hin zur persönlichen Situation. Ansonsten wurde der Ablauf individuell an die üblichen Schlafzeiten der Teilnehmer angepasst.

Die Mondphasen-Schlaf-Analyse

Analysiert wurde jeweils die zweite Labornacht, direkt vor dem eigentlichen Versuch. Das war grundsätzlich die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Natürlich schlafen auch gute Schläfer nicht jede Nacht exakt gleich, aber unter solchen Bedingungen eben doch sehr ähnlich. Man „darf“ es deshalb als echten Unterschied interpretieren, wenn sich die Schlafparameter unterscheiden, je nachdem, wie nahe die Nacht an einem Vollmond war.

Die Zeitpunkte im Schlaflabor wurden nach Abstand zum Vollmond zusammengefasst: neun Tage um den Vollmond, zehn Tage um den Neumond und zehn Tage dazwischen. Und tatsächlich gab es einige Unterschiede, die statistisch sogar angesichts der kleinen Gruppe signifikant waren. Die Leute, die bei Vollmond im Labor schliefen, schliefen im Schnitt 20 Minuten weniger und brauchten fünf Minuten länger zum Einschlafen; das sind beides erkleckliche Werte, jedes Schlafmittel mit solchen Unterschieden gilt als hochwirksam. Natürlich sind Schlafparameter nicht täglich gleich. Aber: sämtliche Schlaflatenz-Extremwerte lagen in Vollmondzeiten, und bei Neumond waren es nie mehr als 20 Minuten. Überdies verbrachten die Teilnehmer höchstens halb so viel Zeit im besonders erholsamen Tiefschlaf, die bei Vollmond im Labor schliefen.

Interpretation

Die Befunde sind das eine. Sie sind statistisch signifikant. Und sie sind klinisch relevant, auch wenn das Daniel Fischer nicht gefällt. Bei Schlaflatenz und Tiefschlafdauer sind auch wenige Minuten von erheblichem Belang. Das zweite gilt aber auch: Tatsächlich wissen wir nicht, ob die Probanden an den Einfluss des Mondes auf den Schlaf glaubten. Falls ja und falls sie wussten, in welcher Phase dieser gerade stand, könnte das ihren Schlaf beeinflusst haben. Falls nicht, ist die dritte Frage, wie man solche Daten anders erklären könnte.

Da darf man spekulieren. Cajochen selbst vermutet am ehesten eine alte lunare Eigenrhythmik des Organismus „Mensch“. Das wäre interessant, müsste aber weiter geprüft werden. Einfach abtun, wie Fischer das macht, kann man es aber nicht. Auch der endogenen zirkadianen Rhythmik kam man auf die Spur, indem man experimentierte. Auch sie ist weder bei allen Menschen gleich noch hält sie sich strikt an die Sonne. Aber sie ist da – und falls sie es nicht ist, führt das zu Problemen.

Wir haben also Daten. Nur wie die zu interpretieren sind, wissen wir noch nicht. Das ist nichts Außergewöhnliches; wie man so schön sagt, ist „weitere  Forschung“ nötig. Empirische Forschung mit gezielter Fragestellung, allerdings nicht so, wie es Daniel Fischer vorschlägt (Tagebücher sehr vieler Versuchspersonen). Was erst recht nicht weiterhilft, ist, die Daten als solche in die Eso-Ecke zu stellen. Genauso wenig, eigene Eso-Ideen „endlich“ bestätigt zu fühlen.

Beeinflusst der Vollmond den Schlaf?

Diverse Fragen werden mir zuverlässig bei jedem Vortrag gestellt, den ich über Schlaf halte. Eine davon: Was hat es mit dem Schlaf bei Vollmond auf sich? Schlafen Menschen da „wirklich“ schlechter? Was hat die Schlafforschung dazu zu sagen?

Bisher konnte ich da immer nur antworten: Der Vollmond bringt es immerhin auf 0,25 Lux, so dass Menschen mit guten Augen lesen können. Diese Beleuchtung kann den Schlaf tatsächlich stören, obwohl sie schwächer ist als jede Straßenlaterne. Diese allerdings stören den Schlaf sogar häufig, ist sie doch wesentlicher Bestandteil der zeitgenössischen „Lichtverschmutzung“  – siehe den Sammelband zur Lichtverschmutzung, über den ich hier am 6. August 2013 hier berichtet habe. Dass der Mond den Schlaf auch dann beeinflussen könnte, wenn man ihn gar nicht sieht, konnte dagegen nie jemand bestätigen.

Neue Daten zum Thema

Das gilt im Prinzip noch immer. Doch seit Juli 2013 muss ich ein kleines Fragezeichen danebenstellen. Anlass ist eine Studie aus einer der renommiertesten chronobiologischen Forschungsgruppen, der an der Psychiatrischen Klinik in Basel. Erstautor ist Christian Cajochen, der Professor und Arbeitsgruppenleiter höchstpersönlich. Die Gruppe hatte vorhandene Daten neu analysiert – und festgestellt, dass die Versuchspersonen im Schlaflabor objektiv anders schliefen, je nachdem, wie groß der Mond gerade war. Cajochen, selbst keiner esoterischen Neigungen verdächtig, hatte nach eigenen Aussagen lange überlegt, ob er die Daten überhaupt veröffentlichen sollte. Mit Esoterikern in einen Topf geworfen zu werden, scheint ihm (dr-Radio) doch ziemlich unangenehm. Aber Ergebnisse sind Ergebnisse – man muss sie wissenschaftlich diskutieren, nicht zensieren.

Große Resonanz auf Vollmondstudie

Die Presse griff allüberall zu, Tenor in der Regel: endlich ist es bewiesen, Menschen schlafen bei Vollmond schlechter. Besonders erfreut waren alle über die Geschichte hinter der Studie: die Idee, die Daten von 2001 neu zu analysieren, entstand nämlich in einer Vollmondnacht beim Bier. Ich verlinke hier nicht viel, es war einfach so flächendeckend zu lesen und zu hören, dass jede Auswahl unsinnig ist. Doch auch die Gegenseite kam auf den Plan, und da sticht nicht nur der Beitrag auf der mir durchaus lieben Skeptikerseite hervor (siehe die Blogroll) sondern vor allem das Blog des Astronomen Daniel Fischer. Der versteht viel von Astronomie und damit auch vom Mond, vom Schlaf und von der Schlafforschung allerdings nicht ganz so viel. Das gilt auch für den Beitrag von Ute Parsch und die Kommentare dazu auf der von mir ausgesprochen geschätzten „Skeptiker“-Seite.

Eine Ex-Post-Fragestellung

Tatsächlich hatte die Cajochen-Gruppe Daten einer früheren Studie neu analysiert, in dem sie die Zusatzvariable „Mondphase“ einführte. Das ist eine ex-post-Analyse, testet also weder eine Hypothese noch wird eine experimentelle Bedingung hergestellt. Allerdings fallen dabei sämtliche Erwartungseffekte weg. Die wären besonders stark, würden die Beteiligten das Thema „Mond und Schlaf“ auch nur im Entferntesten vermuten. Das gilt sowohl die Versuchspersonen als auch die Versuchsleiter. Insofern hat die Ex-Post-Bedingung durchaus ihre Vorteile.

Mehr zur Studie selbst im zweiten Teil

Schulkinderschlaf: Was Eltern tun können

In zwei Wochen sind die Ferien überall zu Ende. Damit wird für Eltern die Frage (wieder) wichtig, wieviel Schlaf Schulkinder wirklich brauchen (nicht alle gleich, aber oft mehr, als sie selbst möchten), ob Schlaf wirklich nötig ist, damit ihre Kinder gut lernen können (das ist er!) und was Eltern tun können, um den Schlaf der Kinder zu fördern (auch einiges). Alle diese Fragen sind in meinem Buch „So kommt Ihr Kind gut durch die Schule“ (siehe auch den Eintrag vom 8. Januar in diesem Blog) besprochen. Claudia Minke gestellt und das Interview in ihrem Internetmagazin Familothek veröffentlicht. Sie finden es hier.

In der Familothek bietet Claudia Minke wirklich nützliche, weil seriöse, vernünftige und umfassende Beiträge für Eltern. Die decken alles ab, was Eltern unter den Nägeln brennt oder was sie einfach interessiert, von Familienpolitik bis Gesundheit, von Ernährung bis zu Steuern, von Schule bis Reisen – und natürlich noch viel mehr.

Die Familothek bietet auch Buchbesprechungungen und Interviews zu Themen, die für Eltern interessant sind. Neben dem Interview hat sie auch mein Elternbuch besprochen; diese Rezension finden Sie hier.

Neu erschienen: Schutz der Nacht – Buch zum Thema Lichtverschmutzung

Es ist Sommer momentan. Richtig Sommer. Also richtig heiß. Wenn wir da gut schlafen wollen, müssen wir nachts die Kühle der Nacht hereinlassen. Doch durchs geöffnete Fenster kommen auch Lärm und Licht. Und die sind dem Schlaf ausgesprochen abträglich. Immer.
24-Stunden-BeleuchtungSchutz der Nacht
Wir beleuchten unsere Städte und unsere Häuser 24 Stunden am Tag, manche Leute sogar ihren Garten. Das gilt als modern, zeitgemäß, schick – und sicher. Man kann es aus dem Weltraum sehen: Die nächtliche Beleuchtung zeichnet die Topographie fast der ganzen Erde nach. Man kann das leicht als „helle Not“ erleben; in Tirol nennen sie es sogar so.
Beleuchtung in der Nacht hat viele Folgen
Die durchgehende Beleuchtung mag zeitgemäß sein. Doch wie alles hat sie ihre Kehrseiten. Die beeinflussen nicht nur uns Menschen, sondern die gesamte Natur. Es beginnt damit, dass wir im weiten Umkreis von Städten nur noch die allerhellsten Sterne sehen können, weil die vielen elektrischen Lichtquellen alle schwächeren Sterne überstrahlen (wichtiges wissenschaftliches Buch „Das Ende der Nacht„). Daher der Name „Lichtverschmutzung“. Und es endet nicht bei den Insekten, die von den Lichtquellen angezogen werden und dort zu Millionen sterben. Es gibt auch technische Lösungen: so hell beleuchten, wie sicherheitsmäßig sinnvoll, aber dunkel genug, dass Zugvögel ein Hochhaus nicht mit „ihrem“ Sternbild verwechseln, dass wandernde Fische ihre Routen nicht verpassen, dass Fledermäuse Insekten verspeisen können, dass nachtaktive Tiere jagen und dass tagaktive Tiere schlafen können.
Erstes allgemeinverständliches Buch zur Lichtverschmutzung
Zu vielen Aspekten des Themas Lichtverschmutzung ist gerade beim Bundesamt für Naturschutz das erste allgemeinverständliche Buch erschienen. Der neue Sammelband basiert auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing. Mein eigener Beitrag darin heißt: „Lichtverschmutzung und die Folgen für die menschliche Gesundheit“; er ist eng abgestimmt mit dem Beitrag „Licht stellt unsere innere Uhr. Zeitgeber und die Grundlagen der Chronobiologie“ von Dr. Vivien Bromundt aus der Basler Chronobiologie-Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christian Cajochen. Herausgegeben haben den Band Dr. Martin Held vom Tutzinger Projekt Ökologie der Zeit, PD Dr. Franz Hölker vom Forschungsverband „Verlust der Nacht“ und Prof. Dr. Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz.

Sie können den ganzen Band hier kostenlos herunterladen.

Nächste wissenschaftliche Tagung zum Thema: 28. bis 30. Oktober 2013 in Berlin

Die „Entkriminalisierung“ des Schlafs

Neu ist es nicht, dass Schlaf als Zeitverschwendung betrachtet wird, als überflüssig oder einfach lasziv. Seit Jahrhunderten versprechen sich Menschen, religiös oder spirituell weiterzukommen, wenn sie weniger schlafen. Seit jedoch Calvin und andere Protestanten der strengeren Provenienz in Mittel- und Nordeuropa an Einfluss gewannen, begann man, den Schlaf generell zu verachten. Max Weber weist darauf hin. In seiner 1912 erschienenen Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ arbeitet er heraus, dass dieser Ethik gemäß ein gottgefälliges Leben mit Arbeit gefüllt ist, was sich im finanziellen Erfolg widerspiegelt. Mit dabei: wenig Schlaf. Max Weber zitiert Richard Baxter, einen Puritaner aus dem 17. Jahrhundert, der schreibt: „Zeitverlust durch Geselligkeit, »faules Gerede«, Luxus, selbst durch mehr als der Gesundheit nötigen Schlaf – 6 bis höchstens 8 Stunden – ist sittlich absolut verwerflich.“

Mit der „Sittlichkeit“ haben wir es heute nicht mehr so. Und dennoch gilt viel Schlaf als unmoralisch, ja bereits Baxters „sechs bis acht Stunden“ sprechen vielen schon für zweifelhafte Leistungsbereitschaft. Sie bewundern Leute, die wenig schlafen, gerne auch selbst – einige Einträge in diesem Blog befassen sich bereits damit.

Olaf Tscharnezki hat diese Negativhaltung wunderbar auf den Begriff gebracht: „Kriminalisierung des Schlafs“. Tscharnezki ist kein Spinner und kein Mitglied der Müßiggänger-Fraktion. Er ist Betriebsarzt, und zwar bei Unilever. Dort betreibt er, wie er in einem Interview für die „Initiative neue Qualität der Arbeit“ erklärt, die „Entkriminalisierung von Schlaf“. Konkret: Er hat in der Hamburger Zentrale eine „Ruheoase“ eingerichtet. Dort „dürfen“ sich Mitarbeiter erholen und sogar ein kleines Tagschläfchen halten, ohne gleich schief angeschaut zu werden. Tscharnezki konnte das durchsetzen, weil die Leute vor wenigen Jahren massiv vom Stress geplagt waren – 60 Prozent, fast zwei von drei Mitarbeitenden, klagten damals über schlechten Schlaf.

Nun können Schlafstörungen vielerlei Gründe haben. Doch sehr oft haben sie tatsächlich mit Stress am Arbeitsplatz zu tun. Der steigt, wenn die Leute über den Tag von ihrem Anspannungspegel nicht herunterkommen, und er steigt noch mehr, wenn sie abends an ihren Schreibtischen festkleben. Wer so arbeitet, kann abends nur schwer abschalten. Doch ausgerechnet Abschalten ist unerlässlich, um gut zu schlafen. Schlafen heißt, dass der Kopf „herunterfährt“. Das tut er nicht auf Befehl und schon gar nicht schnell. Dafür braucht er Zeit, und, wenn man so will, Übung: das sind die Pausen während des Tages. Möglicherweise in der Ruheoase.