Sonne, Licht und Chronobiologie

Morgensonne in Varanasi, Uttar Pradesh, Indien – gerade am Aufgehen

Kāshi, Benāres oder Varānasi – die Stadt mit den drei Namen am Ufer der Ganga (auf Deutsch: Ganges) ist seit mehr als 5000 Jahren ununterbrochen bewohnt. Und seit damals feiern dort täglich Menschen den Sonnenaufgang als spirituelles Ereignis, nicht einige, sondern Tausende. „An kaum einem Ort in der Welt“, schreibt Diana Eck in ihrem Standardwerk „Banāras – City of Light“, „kann man etwas wie den Glanz erleben, den die Sonne ausstrahlt, wenn sie über dem Fluss aufgeht.“ In Indien ist Varānasi, die „Stadt des Lichts“, einer der heiligsten Orte überhaupt. Und weltweit sind viele solcher Orte den Menschen ähnlich heilig.

Nicht sehr viel später – die Sonne in Varanasi

Das Licht der Sonne

Bevor es elektrisches Licht gab, kam das Licht von der Sonne und nur von ihr. Die Sonne „verursacht“ nicht nur, was wir als Tag und Nacht sehen und erleben, sie ermöglicht das Leben auf der Erde überhaupt. So wurde sie als Quelle des Lebens auch religiös verehrt (später wurde sie zur weiblichen Gottheit, noch später zur männlichen). Auf der ganzen Welt feiern oder feierten Menschen die Sonne, in Kāshi-Varanasi oder am Gipfel des Samanaḷa Kanda (Adam‘s Peak) auf Sri Lanka, in Mesopotamien oder Ägypten, in Japan oder Süd-Amerika, im englischen Stonehenge oder in Pömmelte-Zackmünde bei Magdeburg.

In Pömmelte hat man vor einiger Zeit die Fundamente einer Rundanlage ausgegraben, die inzwischen als das mitteleuropäische Stonehenge gilt: 4.300 Jahre alt und in gleicher Weise wie Stonehenge auf den Stand der Sonne vor allem zu den Sonnenwenden ausgerichtet. Nur war Pömmelte nicht aus Steinen gebaut, sondern aus Holz – weshalb man nur die Fundamente ausgraben konnte. Darauf hat man dann die Anlage quasi als Museum neu errichtet.

Licht und Finsternis

Die drei monotheistischen Religionen ehren die Sonne nicht (mehr), aber sie benutzen Lichtmetaphern. Die hebräische Genesis berichtet lapidar-wuchtig, wie Jahwe das Licht erschuf (Joseph Haydn hat das in seinem Oratorium „Die Schöpfung“ kongenial in Musik übersetzt). Jesus bezeichnet sich selbst und seine Anhänger als „Licht der Welt“. Und im Koran hat der Glaube selbst Lichtqualitäten.

Alle drei sehen die Dunkelheit tendenziell negativ, die beliebte Übersetzung „Finsternis“ lässt einen sowieso frösteln. Wen wundert‘s, dass unsere Vorfahren diese Finsternis „vertreiben“ wollten? Zuerst im übertragenen Sinne, dann auch praktisch. Mit dem elektrischen Licht haben wir Menschen es „geschafft“, die Natur mal wieder flächendeckend zu „besiegen“. Nebenwirkungen wie üblich eingeschlossen.

Chronobiologie – die Biologie der Zeit

Die Chronobiologie untersucht, wie biologische Organismen auf die Zeit der Erde reagieren, allem voran, wie es sich mit dem Schlaf verhält, aber auch mit anderen physiologischen und psychologischen Gegebenheiten. Die Zeit, die wir wahrnehmen, beruht darauf, dass sich die Erde in 24 Stunden einmal um sich selbst dreht und dabei immer nur teilweise von der Sonne beschienen wird. Ergebnis: Licht und Dunkelheit wechseln sich regelmäßig ab.

Die Chronobiologie ist jünger als die Schlafforschung, und über einige chronobiologische Ergebnisse habe ich in diesem Blog schon berichtet. Das Wichtigste: Wir sind evolutionär so an den Wechsel von Tag und Nacht angepasst, dass wir beides brauchen, helles Licht, mäßiges Licht und Dunkelheit, und deren regelmäßige Abfolge. Wir brauchen morgens helles Licht, um wirklich wach zu werden, am besten die Sonne. Tagsüber brauchen wir es genauso, nur dann bleiben wir wach, emotional ausgeglichen und geistig fit.

Auch Dunkelheit ist biologisch notwendig

Umgekehrt brauchen wir auch die Dunkelheit, um gut zu schlafen, und dafür taugt die Nacht besser als jede technische Verdunkelung. Folgerichtig ist die übliche nächtliche Beleuchtung Gift für alle Lebewesen. Der (auch) chronobiologische Fachbegriff: Lichtverschmutzung (hier die Einleitung des in der SZ zitierten PNAS-Heftes). Es stört zwar manche Zeitgenossen nicht weiter, dass es auch unsere Lichtverschmutzung ist, die Insekten umbringt; doch sie macht uns halt auch selber krank, was die Chronobiologie längst belegt hat.

Die Lichter in Nachbars Garten – Horror für die Fauna

Trotzdem ist das chronobiologische System nicht starr, deshalb können wir gefahrlos eine Nacht durchmachen oder über Zeitzonen hinweg reisen. Heute allerdings überdehnen wir diese Flexibilität meistens – jedenfalls außerhalb von Corona. Aber dieses Virus ist auch chronobiologisch eine andere Geschichte.


Gefängnis: Abwechselnd schlafen?

Istanbul- eigentlich großartig

Istanbul- eigentlich großartig

Cover Can Dündar„Sie konnten nur abwechselnd schlafen“ – schon wieder stand das in der Süddeutschen über ein türkisches Gefängnis. Christiane Schlötzer erwähnte es in ihrer heutigen Besprechung von Can Dündars „Lebenslang für die Wahrheit“. Der ehemalige Chefredakteur der türkischen Cumhüriyet, momentan im Exil, hat das Buch geschrieben, als er letztes Jahr 92 Tage im Istanbuler Hochsicherheitsgefängnis Silivri eingesperrt war. Erst letzte Woche hatte Yavuz Baydar in der SZ die aktuelle Lage in der Türkei beklagt: „Das Gefängnis ist überfüllt. Die Inhaftierten müssen sich beim Schlafen abwechseln.“

Zu eng zum Schlafen?

„Abwechselnd schlafen“ müssen – da leidet man unmittelbar mit. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie überfüllt und eng es ist in der Gefängniszelle ist, schließlich muss dann weniger Platz sein als in einem Notzelt. Diese Enge kann alle möglichen Folgen haben, vor allem psychische. Gut ist keine davon.

Abwechselnd schlafen: da muss jeder zweite falsch schlafen

Doch es kommt noch etwas hinzu, wenn Menschen „abwechselnd“ schlafen müssen. Wer systematisch am Schlafen gehindert wird, erlebt Folter. Die alten Römer nannten das „tormentum vigiliae“. Und wer sich mit anderen beim Schlafen abwechseln muss? Das bedeutet, jeder zweite muss zu einer Zeit schlafen, wo der Organismus gar nicht darauf eingestellt ist, nämlich tagsüber. Da schläft man schlecht und langfristig macht es krank.

Warum „falsch“ schlafen krank macht

Normalerweise sind die zirkadianen biologischen Rhythmen gut aufeinander eingespielt. Und das müssen sie auch sein, damit wir gesund bleiben. Nimmt man einen heraus – etwa indem man nachts am Schlafen gehindert wird – kommen die Rhythmen leicht durcheinander. Für ein paar Tage kommt die innere Uhr damit zurecht – siehe Nachtarbeit. Dauert es länger, schadet es der Gesundheit. Erst geht es auf das Herz-Kreislauf-System, langfristig befördert es Krebserkrankungen.

Schlaf im Gefängnis

Freiheit und Kunst - gefunden in einem Opernhaus

Freiheit und Kunst – gefunden in einem Opernhaus

Klar, wer im Gefängnis sitzt, hat andere Sorgen als die eigene Gesundheit in fernerer Zukunft. Dennoch schädigt eine Inhaftierung dieser Art die Betroffenen nicht nur seelisch, sondern zumindest über die Schlafschiene auch körperlich. So wird ihnen sehr viel mehr entzogen als „nur“ die Freiheit. Dabei hat man im Gefängnis ohnehin mehr Probleme mit dem Schlafen als daheim, wie eine Überblicksarbeit aus England kürzlich nachwies.

Lichtverschmutzung – Thema für den Biologieunterricht

Angeblich sind Lehrer ja wahlweise faul oder inkompetent, man kann das ständig überall lesen. Das ist glücklicherweise Unsinn.

PdN-Okt_2014_CoverTatsächlich überlegen sich viele sehr viel für ihre Schülerinnen und Schüler, jeweils einzeln, aber eben auch für ganze Klassen. Es ist nun mal nicht so, wie es kürzlich eine Seminarlehrerin auf den Punkt brachte, dass es sich diese Gesellschaft leistet, jedem Kind und allen Jugendlichen Privatlehrer zur Seite zu stellen. Statt dessen müssen sich die Lehrkräfte überlegen, wie sie locker mal 30 völlig verschiedenen jungen Persönlichkeiten etwas nahebringen können, was sie selbst superspannend finden, diese aber nicht unbedingt, jedenfalls nicht von selbst.

Praxis der Naturwissenschaften (PdN) – Biologie in der Schule: Oktoberheft 2014

Dr. Ole Müller aus Brandenburg ist einer der vielen engagierten. Er hat das letzte Heft der Zeitschrift „PdN – Biologie in der Schule“ herausgegeben. Thema: Lichtverschmutzung. Letztes Jahr war ja die Publikation des Bundesamts für Naturschutz zum Thema herausgekommen, die ich hier schon vorgestellt habe. Herr Müller hat sich total reingehängt, mit möglichen Autoren telefoniert, x-Mal gemailt, sich um Bilder gekümmert, die Texte genau gelesen und Rückmeldungen gegeben. Alles ehrenamtlich. Damit die Kolleginnen und Kollegen besseren Unterricht machen.

Woher ich das weiß? Weil ein Beitrag von mir ist.  Das Inhaltsverzeichnis finden Sie sofort auf der Webseite des Verlages.

Mein Beitrag in PdN-Biologie in der Schule: Jugendliche und Lichtverschmutzung

In meinem eigenen Artikel habe ich die wichtigste Literatur über die Auswirkungen unserer Lichtverschmutzung auf das chronobiologische System von Jugendlichen aufbereitet. Das steht ungefähr drin:

Kapitel 1: Zirkadiane Rhythmen, Licht und Lichtverschmutzung (Biologische Rhythmen und Zeitgeber).
Kapitel 2: Chronotypen und sozialer Jetlag (Morgen- und Abendtypen; Chronotyp, Adoleszenz und Lichtverschmutzung).
Kapitel 3: Jugendliche – Schlaf, Licht und Schulleistungen (Schlaf und jugendliche Chronotypen; Schlaf und Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen; Schlaf, Licht und Schulleistung).

Ein Ausflug in die Geographie

Außerdem gibt es einen Kasten zu dem Thema, was bei sämtlichen Diskussionen zum Thema Schlafengehen und Aufstehen gerne außer acht gelassen wird: Wie Sonnenlicht und Zeitmessung zusammenhängen. Das ist mir als gelernter Geographin ziemlich wichtig. Zum Beispiel: Dass man in Westspanien den Tag – nach Uhrzeit – erheblich später anfängen lässt. Nach Sonnenstand und Sonnenzeit ist es aber nicht anders als bei uns, weil in Westspanien wie hier die Mitteleuropäische Zeit gilt – die Sonnenzeit von Görlitz.

Teile aus dem Beitrag poste ich später mal. Momentan kann ich nur empfehlen, das ganze Heft beim Verlag zu bestellen. Die Beiträge sind nämlich allesamt ausgesprochen spannend.

Neu erschienen: Schutz der Nacht – Buch zum Thema Lichtverschmutzung

Es ist Sommer momentan. Richtig Sommer. Also richtig heiß. Wenn wir da gut schlafen wollen, müssen wir nachts die Kühle der Nacht hereinlassen. Doch durchs geöffnete Fenster kommen auch Lärm und Licht. Und die sind dem Schlaf ausgesprochen abträglich. Immer.
24-Stunden-BeleuchtungSchutz der Nacht
Wir beleuchten unsere Städte und unsere Häuser 24 Stunden am Tag, manche Leute sogar ihren Garten. Das gilt als modern, zeitgemäß, schick – und sicher. Man kann es aus dem Weltraum sehen: Die nächtliche Beleuchtung zeichnet die Topographie fast der ganzen Erde nach. Man kann das leicht als „helle Not“ erleben; in Tirol nennen sie es sogar so.
Beleuchtung in der Nacht hat viele Folgen
Die durchgehende Beleuchtung mag zeitgemäß sein. Doch wie alles hat sie ihre Kehrseiten. Die beeinflussen nicht nur uns Menschen, sondern die gesamte Natur. Es beginnt damit, dass wir im weiten Umkreis von Städten nur noch die allerhellsten Sterne sehen können, weil die vielen elektrischen Lichtquellen alle schwächeren Sterne überstrahlen (wichtiges wissenschaftliches Buch „Das Ende der Nacht„). Daher der Name „Lichtverschmutzung“. Und es endet nicht bei den Insekten, die von den Lichtquellen angezogen werden und dort zu Millionen sterben. Es gibt auch technische Lösungen: so hell beleuchten, wie sicherheitsmäßig sinnvoll, aber dunkel genug, dass Zugvögel ein Hochhaus nicht mit „ihrem“ Sternbild verwechseln, dass wandernde Fische ihre Routen nicht verpassen, dass Fledermäuse Insekten verspeisen können, dass nachtaktive Tiere jagen und dass tagaktive Tiere schlafen können.
Erstes allgemeinverständliches Buch zur Lichtverschmutzung
Zu vielen Aspekten des Themas Lichtverschmutzung ist gerade beim Bundesamt für Naturschutz das erste allgemeinverständliche Buch erschienen. Der neue Sammelband basiert auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing. Mein eigener Beitrag darin heißt: „Lichtverschmutzung und die Folgen für die menschliche Gesundheit“; er ist eng abgestimmt mit dem Beitrag „Licht stellt unsere innere Uhr. Zeitgeber und die Grundlagen der Chronobiologie“ von Dr. Vivien Bromundt aus der Basler Chronobiologie-Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christian Cajochen. Herausgegeben haben den Band Dr. Martin Held vom Tutzinger Projekt Ökologie der Zeit, PD Dr. Franz Hölker vom Forschungsverband „Verlust der Nacht“ und Prof. Dr. Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz.

Sie können den ganzen Band hier kostenlos herunterladen.

Nächste wissenschaftliche Tagung zum Thema: 28. bis 30. Oktober 2013 in Berlin