„Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung“ – Heinrich Heine


Heinrich Heine – vermutlich heute vor 222 Jahren in Düsseldorf geboren – gehört zu meinen persönlichen Lieblingsdichtern. Er war hochintelligent, scharfzüngig, witzig, gewaltfrei und melancholisch, und natürlich noch viel mehr. Wer „Deutschland, ein Wintermärchen“ noch nie gelesen hat, sollte das sofort nachholen. Für mich gehört es unbedingt in den Kanon, den alle Jugendlichen hierzulande kennen sollten. Wenn es sowas wie eine deutsche Seele gibt, dann hat sie Heinrich Heine hier beschrieben. Er war einer der größten deutschen Dichter, er war genial und schrieb genial, und sein Deutsch war schlicht zum Niederknien. Dennoch vermasselte ihm seine jüdische Herkunft die Universitätskarriere und trieb ihn ins Exil nach Paris. Unsere Schande Antisemitismus ist leider nicht neu.

Es hat eine Weile gedauert, von 1965 bis 1988, bis die Düsseldorfer Universität endlich den Namen ihres großen Sohnes bekam. Passend zum scharfsinnigen Denker Heinrich Heine gibt es seit 2015 an der Heinrich-Heine-Universität (HHU) sogar einen Wettbewerb im Science-Slammen, der natürlich Heine-Slam heißt. Der Dichter hätte seine helle Freude daran gehabt. Außerdem wählt die HHU jedes Jahr ein Lieblingszitat aus dem riesigen Fundus meisterhafter Heinrich-Heine-Sätze.

2019 haben sie eine Art Kurzfassung von Heines Schlafphilosophie gewählt: „Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung“. Dieser Satz ist in der Schlafforschung bekannt und beliebt, weil er sich nicht damit aufhält, die positiven Folgen des Schlafs zu beschreiben, sondern ihn selbst hochleben lässt. Es ist aber auch schön, wenn gerade eine Universität Heines Bonmot ganz offiziell schätzt – schließlich kann nur, wer gut schläft, hervorragend forschen, hochwitzig slammen oder genial schreiben, kurz: Nennenswertes zustandebringen. Deshalb hier die vollständige Pressemeldung der Universität Düsseldorf, die Lieblings-Heine-Zitate der letzten Jahre sind auch noch dabei.

13.12.2019 06:00

Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung“ ist an der Heinrich-Heine-Universität 2019 das liebste Heine-Zitat

Dr.rer.nat. Arne Claussen Stabsstelle Presse und Kommunikation
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Beschäftigte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf haben ihr liebstes Heine-Zitat gewählt. Rund 160 Einsendungen gab es.

Zum Geburtstag des Namensgebers der Universität am 13. Dezember wählten die Mitglieder der Universität folgenden Ausspruch aus Heinrich Heines 1823 erschienenem „William Ratcliff“ zum Zitat des Jahres 2019:

„Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung.“

Unter allen, die für dieses Zitat gestimmt haben, wird ein Shirt mit diesen Heine-Worten verlost. Darüber hinaus gibt es zehn HHU-Regenschirme – ein zum derzeitigen Wetter passendes Präsent. Die Gewinnerinnen und Gewinner werden per E-Mail benachrichtigt.

Zum 222. Geburtstag von Heinrich Heine

Heute jährt sich Heinrich Heines Geburtstag zum 222. Mal, ein wahrlich rheinisches Jubiläum. Zur Erinnerung an Heines Jubeltag haben die Mitglieder der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) zum inzwischen neunten Mal ihr liebstes Heine-Zitat des Jahres gewählt. In diesem Jahr lautet es „Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung“ und stammt aus seiner Tragödie „William Ratcliff“.

In den letzten Jahren wurden folgende Lieblingszitate Heinrich Heines gekürt:
2018: „Weise erdenken neue Gedanken, und Narren verbreiten sie.“
2017: „Die Worte sind dazu da, unsere Gedanken zu verbergen“
2016: „Wer nie im Leben töricht war, ein Weiser war er nimmer.“
2015: „So ein bisschen Bildung ziert den ganzen Menschen“
2014: „Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles seine Bemerkungen.“
2013: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“
2012: „Geld ist rund und rollt weg, aber Bildung bleibt.“
2011: „Wie vernünftige Menschen oft sehr dumm sind, so sind die Dummen manchmal sehr gescheit.“

Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt.

Vorwiegend psychologische Anmerkungen zu einem Bestseller.

Thomas Bauer: Die Vereeindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Reclam, 2018


„Die Vereindeutigung der Welt“ – den Titel könnte man fast genialisch nennen. Der Begriff „Welt“ suggeriert, dass man eine Art Philosophie des großen Ganzen erwarten kann. „Vereindeutigung“ markiert ziemlich eindeutig (sic!), dass Eindeutig-Sein negativ zu werten ist. Was der Begriff „Verlust“ im Untertitel bestätigt: Verschwundenes kann nur Verlust sein, wenn es positiv war – wer würde schon etwa das Verschwinden der Sklaverei aus Europa als „Verlust“ bezeichnen?

Unter diesem eindeutigen – durchaus sympathischen – Titel präsentiert der Münsteraner Islamwissenschaftler und Arabist Thomas Bauer zehn Kapitel zu seinem Spezialthema, der „Ambiguitätstoleranz„. Der Begriff Ambiguität kommt klassisch aus der Linguistik. Die beschreibt damit das Phänomen, dass Wörter den Kontext brauchen: in Kontext eins bedeuten sie dieses, in Kontext zwei etwas anderes. Die Psychologie hat das auf den Alltag und die menschliche Interaktion übertragen, wo fast alles mehrdeutig ist; entscheidungstheoretisch würde man „unsicher“ sagen. Menschen kommen unterschiedlich gut zurecht mit solchen Unsicherheiten bzw. Ambiguitäten. Wissenschaftlich-psychologisch gibt es sogar gewisse Hinweise darauf, dass, wer in Alltagsdingen wenig „Ambiguitätstoleranz“ aufbringt, etwas häufiger von erhöhter Ängstlichkeit geplagt ist.

Der Autor überträgt das auf ganze Kulturen, auch wenn er leider nicht positiv definiert, was er dort genau unter Ambiguitätstoleranz versteht. Dafür beschreibt er drei Aspekte, die für Kulturen der Ambiguitäts-in-toleranz typisch seien. Diese reklamierten erstens „die“ Wahrheit für sich, sie ignorierten zweitens die Geschichte, und sie strebten drittens nach Reinheit. In dem Bereich, für den Thomas Bauer wissenschaftlich ausgewiesen ist, dem religiösen, kennt man dieses Trio als „Fundamentalismus“. Heute seien IS und Konsorten derart gestrickt, so Bauer, historisch aber seien islamische Kulturen erheblich ambiguitätstoleranter gewesen als das christliche Abendland. Das klingt interessant, aber man hätte gerne neben dem Verweis auf sein gleichlautendes Buch (s.o.) auch noch ein paar konkrete Belege. Der Fundamentalismus habe einen Gegenpol, der genau wie dieser aus dem Streben nach Eindeutigkeit resultiere: die Gleichgültigkeit. Genau auf diesem Trip sei das heutige Europa.

Die Hagia Sophia. 1000 Jahre lang Symbol der christlichen Ostkirche. 1453 eindeutig zur Moschee gemacht.

Die Hagia Sophia in Istanbul. Sie war 1000 Jahre Symbol der christlichen Ostkirche. 1453, direkt nachdem er Konstantinopel erobert hatte, machte Sultan Mehmet II. die Hagia Sophie zur Moschee – eindeutig.

Der „Verlust“ der Ambiguität bzw. der Vielfalt (oft gleichgesetzt) zeige sich heute in allen Lebensbereichen, von den einheitlichen Monsanto-Tomaten bis zum Verschwinden vieler Sprachen in der Welt, vom Aussterben Tausender Arten in Flora und Fauna bis zur Werbung, die Uniformes als Individuelles verkauft. Diese Phänomene kennen (fast) alle und bedauern viele, die dazugehörige Kapitalismuskritik auch. Bauer verortet die Ursachen allerdings nicht in der Ökonomie, sondern in der (westlichen) Kultur.

Interessanterweise beklagt er, wissenschaftliche Expertise werde nicht mehr gewürdigt, was sich daran zeige, dass in Talkshows zum Islam häufig Nicht-„Islamwissenschaftler“ zu Wort kämen. Der Islamwissenschaftler TB tut das gleiche: Zwei von zehn Kapiteln widmet er der Musik und der Malerei des 20. Jahrhunderts. Dass Bauer dafür keine wissenschaftliche Expertise hat, zeigt sich leider fast in jedem Satz.

Graffito in München:
Eindeutig? Mehrdeutig? „Moderne Kunst“?

Eine der wichtigsten Folgen des (abendländischen) Vereindeutigungsstrebens sieht Bauer darin, dass alles und jedes in „identitäre „Kästchen“ sortiert werde. Beispiele: Die kulturalistische „Rassen“theorie des Nazis Ludwig Clauß, der interessant-skurril, aber für die Nazis letztlich irrelevant war. Die Monsanto-Einheits-Tomatensorten, die halt besonders profitabel sind. Die Homosexualität, die nicht als Handlungsoption gehandelt werde, sondern als „Kästchen“ – in der Psychologie würde man sagen: als Persönlichkeitsmerkmal. Dabei zitiert er allen Ernstes eine Neu-„Definition“ von sexistisch, die plötzlich mit (männlicher) Homo- bzw. Heterosexualität zu tun hat statt mit Frauen und Männern. Womit das Thema „Frauen und Eindeutigkeit“ elegant entsorgt wäre, einschließlich deren Schicksal im ambiguitätstoleranten Islam damals wie heute.

Schließlich geißelt er das, was er „Authentizitätswahn“ nennt. Ob Wein oder Politiker: alles müsse heute authentisch sein – ein Eindruck, den er auf Zeitungsartikel gründet, nicht auf wissenschaftliche Studien. Zum Begriff „Wahn“ möchte man ihm allerdings gerne die Hilfestellung des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit empfehlen.

Zum Schluss plädiert Bauer dafür, Toleranz für Mehrdeutigkeit zu trainieren, etwa mit mehr Kunst und Musik in der Schule, was ihm viel Lob eingetragen hat. Dem kann man uneingeschränkt zustimmen, wobei sich die Frage stellt, wie er gleichzeitig die gesamte zeitgenössische Kunst als Beleg für die böse Vereindeutigung hernehmen kann – und dann als Heilmittel mehr davon fordern. Denn Musik, bildende Kunst und alle, die sie ausüben, leben im Heute, sind also modern. Gleichzeitig wurzeln sie – und in der Regel sehr bewusst – in der gesamten Kunst- und Musikgeschichte.

Die teils hymnischen Besprechungen dieses Textes in der Publikumspresse und im Netz lassen einen logisch-wissenschaftlich denkenden Menschen etwas ratlos zurück. Die Fachleute für seine Beispiele jedenfalls hüllen sich weitgehend in Schweigen: Philosophen, Psychologen, Musiker und Kunsthistoriker.

Alternative Fakten, Wikipedia und die Wissenschaft

Vorgestern kommentierten auf ZEIT-online 67 Diskutanten meinen ZON-Beitrag über die Frage, ob man nun vorschlafen kann oder nicht.* Als ich gestern dazukam, mir die Kommentare anzuschauen, hatte ich außerdem von einer 68. Person eine E-Mail dazu bekommen. Dieser Herr und zwei Kommentatoren wussten über eine Frage viel besser bescheid als ich. Diese Frage war für den Artikel nicht zentral, und deshalb musste ich erst einmal lachen. Dann habe ich überlegt, dass diese drei Kommentare auch zeigen, wie Leute hierzulande mit Wissenschaft umgehen. Deshalb habe ich nicht nur allen dreien geantwortet, sondern schreibe auch hier noch etwas dazu.

In Frage stand das „zirka“ bzw. „circa“ in dem chronobiologischen Begriff „zirkadian“, den Franz Halberg geprägt hat. Das bedeutet „ungefähr“, und es wurde gewählt, weil der 24-Stunden-Rhythmus zwar endogen ist, seine Periodenlänge aber normalerweise nur ungefähr, nicht exakt, 24 Stunden dauert. Das ist für unser Leben auf der Erde durchaus von Vorteil, doch das ist eine andere Geschichte. Dieses zirka kommt nicht nur in zirkadian vor, sondern auch in zirkannual, zirkalunar und zirkaseptan (siehe Zulley & Knab, 2015 oder auch Unsere Innere Uhrannus heißt Jahr, luna heißt Mond und septem heißt sieben).

Die drei meinten also (bzw. zwei davon, einer schrieb einfach nur verklausuliert dumme Kuh, keine Ahnung), „zirka“ komme vom lateinischen „circus“, was Kreis heißt, und beschreibe im Prinzip sowas wie den Tages“kreislauf“.

Das Dumme ist nur: Wie überzeugt die drei auch immer gewesen sein mögen – die Sachlage ist eine andere. Es handelt sich bei dieser Frage nicht um etwas, was wissenschaftlich irgendwie strittig wäre, es ging auch nicht um den Beitrag an sich; es ging „nur“ um Wissenschaftsgeschichte. Wieso war ihnen das so wichtig? Freundlicherweise hat einer der drei den Wikipedia-Eintrag zur Chronobiologie verlinkt. Und dort steht sie tatsächlich, diese eigentlich unbedeutende Behauptung, die aber trotzdem frei erfunden ist und somit fraglos zu dem gehört, was man neuerdings „alternative“ Fakten nennt. Es führt die Wikipedia-Leser nicht nur in die Irre, sie glauben es dann auch noch besser zu wissen als die Chronobiologen selbst.

Genau genommen kann man darüber zwar lachen, auch über die durchaus herablassende Diktion. In Wirklichkeit ist es eher tragisch. Die Leute interessieren sich für Wissenschaft und lesen Texte darüber. Trotzdem scheinen sie kritiklos zu glauben, was sie im Netz finden, jedenfalls solange es ihrem Weltbild nicht widerspricht. Genau darüber klagen Lehrer und Unidozenten ständig, teilweise ist Wikipedia als Quelle sogar verboten. Nützt nix.

Nach welchen Kriterien beurteilen Leser die Wikipedia-Texte? Ist Wikipedia ihre letzte Instanz? Blenden die Leute aus, dass es bei Wikipedia immer Fehler gibt? Obwohl das alle wissen? Oder sind es halt doch nur Trolle? Ich gebe zu, ich habe mich nicht angemeldet und diesen Eintrag geändert. – Kommentare gerne per e-Mail – info – at – barbara minus knab punkt de.

* Antwort in einem Satz: Man kann es eigentlich nicht. Manchmal sieht es zwar so aus, aber einiges spricht dafür, dass man dann in Wirklichkeit nachschläft. Nachschlafen funktioniert nämlich sehr wohl. Es hilft, wenn man einmal oder eine ganze Weile zu wenig geschlafen hat. Das erleben nicht nur Menschen mit Schlafstörungen, sondern viele, die von Lärm oder Stress geplagt und ständig geweckt werden, oder die aus beruflichen Gründen zu wenig schlafen (allen voran Schichtarbeiter, Eltern kleiner Kinder eingeschlossen). Außerdem kommen all die zu wenig zum Schlafen, die gerne Nächte durchfeiern oder zeigen müssen, wie erwachsen sie schon sind.