Schlafmittel

„Wer ein Schlafmittel eingenommen hat, ist zwar meist nicht mehr wach; aber richtig schlafen wird er selten“. Das ist die Übersetzung. Im Wissenschaftsdeutsch war der Satz ein Fazit eines der besten Vorträge, die ich beim Berliner Psychiaterkongress im November 2016 gehört habe. Gehalten hat ihn Dieter Kunz. Der ist im Hauptberuf Chefarzt der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin in Berlin und leitet außerdem die Arbeitsgruppe Chronobiologie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Er hat mir für einen Psychologie-heute-Beitrag auch schon sehr präzise auf meine Fragen zur 24-Stunden-Gesellschaft geantwortet.

Der jährliche DGPPN-Kongress

DGPPN-Kongress Berlin 2015

DGPPN-Kongress Berlin 2015

Den Kongress richtet die DGPPN jährlich aus, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Er ist die Leistungsschau der einschlägigen deutschsprachigen Wissenschaftler. Das Publikum: Tausende praktisch tätige Leute aus der Psychobranche des Gesundheitssystems, die sich untereinander austauschen, vor allem aber ihr professionelles Wissen und Können auffrischen. Schlaf und Schlafstörungen inbegriffen. In Kapitel F, dem fünften, listet das ICD-Diagnosesystem der Weltgesundheitsorganisation die „Psychischen und Verhaltensstörungen“. Die Schlafstörungen in Unterkapitel 51 gelten als eher unspektakulär, ein bisschen wie das Aschenputtel der Psychoberufe.

Schlaf – wichtig für das gesamte Leben

Aufstehen mit der Sonne - Varanasi/UP Indien

Aufstehen mit der Sonne – Varanasi/Indien © B.Knab

Doch in den letzten Jahren hat die Schlafforschung das Aschenputtel auf die große Bühne befördert. Inzwischen weiß man, dass Schlaf zum einen die klassischen, zentralen Themen der Psychologie erheblich beeinflusst: Denken, Fühlen und Wollen, oder auch: Kognition, Emotion und Motivation. Zum anderen haben die meisten Menschen mit psychischen Störungen auch Probleme mit dem Schlaf, mal mehr, mal weniger. Das verschlechtert ihre psychische Verfassung am Tage unter Umständen zusätzlich.

Die Psychiater hingen gebannt an Kunz‘ Lippen, der vortrug, was das Gehirn im Schlaf tut  und was Schlafmittel verändern. Der richtige Schlaf (samt „Schlafplot“ – in diesem Blog 22.9.2014): Leichtschlaf, Tiefschlaf und REM-Schlaf folgen regelmäßig aufeinander, das dauert 90 Minuten, und dann von vorne. Spindeln sind schnelle, sehr wachnahe Wellen. Deltawellen sind langsam. Spindeln markieren Leichtschlaf, Deltawellen Tiefschlaf, schöne Entspannung gibt’s im REM (neben Träumen in allen Varianten).

Was Schlafmittel im Gehirn bewirken

Ein Benzodiazepin ruft keinen solchen Schlaf hervor. Unter seinem Einfluss produziert das Gehirn viel mehr Spindeln als normal, und zwar in jedem Stadium und die ganze Nacht durch. Dieser Schlaf kann die üblichen Funktionen für Kognition und Erholung nicht gewährleisten. Abgesehen davon, dass diese Mittel süchtig machen. Das gilt zwar teilweise auch für die Z-Medikamente, doch Massen von Spindeln verursachen die nicht.

Sedierende (beruhigende) Antidepressiva machen nicht süchtig, weshalb viele Psychiater sie gerne gegen Schlafstörungen verschreiben. Aber sie verändern etwas anderes im Schlaf: mit einem Antidepressivum kommt man nicht nach einer guten Stunde im REM an – Kunz zeigte beeindruckende Schlafplots dazu –, sondern erst nach fünf. Dummerweise wissen wir heute, dass REM unerlässlich für diverse Gedächtnisprozesse ist, was nicht zuletzt Kunz‘ eigene Arbeitsgruppe belegt hat (hier der Originalbeitrag). Eine Option für richtigen Schlaf sind Antidepressiva deshalb auch nicht.

Erzwingen kann man guten Schlaf noch immer nicht wirklich. Lebensnotwendig ist er trotzdem. Insofern könnte er immer mehr ins Blickfeld der öffentlichen Gesundheitsfürsorge werden. Gewährleistung der Nachtruhe inklusive.

Schlaf, Schlaf-EEG und Schlafverlauf

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Eigentlich möchte ich hier ja gerne vornehmlich über Neueres in Sachen Schlaf und Chronobiologie schreiben. Doch da ich immer wieder Aussagen finde, die entweder nicht stimmen oder missverständlich sind, mache ich jetzt mal eine Ausnahme.

Also: Schlaf in kürzester Kurzfassung

Unsere Altvorderen hielten den Schlaf für den „Bruder des Todes“. Das ist er nicht. Er ist der „Bruder der Wachheit“, eine wunderbare Form des Lebendigseins, wenn auch vorzugsweise liegend. Er ist sowohl Gegenstück als auch Voraussetzung für die Wachheit. Schlafen und Wachen sind zwei Seiten der gleichen Medaille Leben. Insofern muss man Rainer Werner Faßbinders berühmten Satz umdrehen. Wenn schon, müsste er heißen: „Schlafen kann ich nicht mehr, wenn ich tot bin“.

Das EEG

Im Schlaf bewegen wir uns nicht (außer beim Schlafwandeln, aber das ist eine eigene Geschichte). Das Gehirn ist trotzdem aktiv. Es spielt sozusagen sein eigenes Programm. „Sehen“ kann man das Programm mit dem EEG, dem Elektroenzephalogramm. Das EEG kommt heraus, wenn man die Signale der Großhirnrinde mit Hilfe von kleinen Elektroden misst, bzw. „ableitet“. Es handelt sich um elektrische Schwingungen.

Schlaf-EEG und Schlafstadien 1 bis 4

Das Schlaf-EEG ändert sich im Verlauf der Nacht immer wieder. Wenn wir wach und hochkonzentriert sind, ist es schnell, mehr als 12 oder 14 Hertz (Hz – Physik: das sind die Schwingungen pro Sekunde), erreicht aber nur ein paar Mikovolt. Wenn wir seehr entspannt sind, wird es langsamer, 8 bis 12 Hz, und die Spannung steigt ein wenig. Das ist der berühmte Alphazustand. Der ist angenehm, aber präzise denken können wir da nicht, auch wenn mitunter das Gegenteil behauptet wird.

Zu Beginn des Schlafs wird das EEG noch langsamer, 4 bis 7 Hz, das nennen wir Leichtschlaf im Stadium 1. Dabei bleibt es nicht, es geht bis auf 1 bis 2 Hz herunter. Gleichzeitig steigt die Stromspannung auf mehr als 75 Mikrovolt. Wenn in einer halben Minute mehr als ein Fünftel aus solchen Wellen besteht, heißt das Tiefschlaf (je dichter diese Wellen, umso tiefer ist der Schlaf). Den tiefsten Tiefschlaf nennen wir Stadium 4, es wird also von 1 über 2 über 3 bis 4 immer tiefer. Der Hintergrund der Benennung: je tiefer, umso schwerer ist man weckbar.

Der REM-Schlaf

Bis dahin sind die Muskeln entspannt und die Augen ruhig. Nach einer Stunde kommt REM. Im REM-Schlaf sind die Muskeln nachgerade gelähmt, dafür gehen die Augen schnell hin und her – REM heißt „rapid eye movement“, schnelle Augenbewegungen. Das EEG ist so ähnlich wie zu Beginn des Schlafs in Stadium 1. Da REM so besonders ist, heißen alle anderen Stadien zusammen Non-REM-Schlaf.

Die Schlafarchitektur

Danach geht es wieder von vorne los: Stadium 1, 2, 3 und (vielleicht) 4, und nach einer guten Stunde kommt wieder REM. Das ist ein Non-REM-REM-Zyklus.

Im Lauf einer Nacht haben die meisten Leute 5 solcher Non-REM-REM-Zyken. Jeder dauert ungefähr 90 Minuten, der erste kann etwas kürzer sein. Die Abfolge ist fest, das nennt man die Schlafarchitektur. Innerhalb der Zyklen ändert sich aber schon einiges: die Anteile der einzelnen Stadien verschieben sich. So wird der Tiefschlaf von Zyklus zu Zyklus weniger, ab dem dritten hört er meist ganz auf, bei älteren Menschen schon früher. An seine Stelle tritt leichterer Non-REM-Schlaf. Die Dauer des REM-Schlafs dagegen verlängert sich im Laufe einer Nacht.

Träume

In aller Kürze: wir träumen meistens. Verrückte Träume aber, solche, die wirklich interessant sind, die wir uns merken und erzählen wollen, wo wir womöglich fliegen oder sonstige eigentlich unmögliche Dinge tun – die liefern uns die REM-Phasen.

Der Schlafplot

Wenn man die Abfolge der Stadien im Halbminuten-Abstand aufzeichnet, dann ergibt sich das, was man Schlafplot nennt. Ein typischer Plot einer gut schlafenden Person zwischen 20 und 30 ist hier:

Schlafarchitektur-–-junge-Erwachsene