Dr. Heidbreder, die Schlafschule und die Süddeutsche

Letzte Woche feierte die Schlafzunft ihr Hochamt: den Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, DGSM. Zwar nur im Netz, aber immerhin. Die Medien nehmen diesen Kongress gerne zum Anlass, sich etwas genauer mit dem Schlaf zu beschäftigen.

Diesmal hat die Süddeutsche Zeitung ein Interview abgedruckt, das Felix Hütten mit Anna Heidbreder geführt hat. Dieses Interview ist so gut, dass ich es in meinen nächsten Schlafschule-Seminaren verwenden werde. Heidbreder ist Schlafmedizinerin (das ist ein medizinischer Titel) und Somnologin (das ist ein Titel der wissenschaftlichen Fachgesellschaft). Die Oberärztin an der Uniklinik Innsbruck ist im Hauptberuf Neurologin, so dass ihre Arbeitsschwerpunkte auch in Sachen Schlaf (nach unten scrollen, AH kommt erst nach den vier Hauptvorständen) neurologisch sind: etwa Narkolepsie, das Syndrom der unruhigen Beine (restless legs) oder die REM-Schlaf-Bewegungsstörung (RBD). In den REM-Phasen (REM kommt von Rapid Eye Movement) träumen wir unsere verrücktesten Träume. Sinnvollerweise ist da die Muskulatur weitgehend gelähmt, andernfalls würden wir nämlich diese Träume auch ausagieren und gewissermaßen um uns schlagen. Genau das erleben Personen mit RBD, bei ihnen funktioniert die Lähmung nicht mehr.

Weniger zum Schlafen geeignet – gemachtes Bett im Glashaus am Bodensee. Landesgartenschau Lindau 2021

Allerdings interessieren sich die meisten Leute für neurologische Schlafthemen eher dann, wenn sie selbst davon betroffen sind. Weiterlesen tun sie eher, wenn es darum geht, wie man besser schläft. Felix Hütten fragte in diese Richtung, und das sehr pfiffig. Nun hängt es grundsätzlich nicht zuletzt an den Fragen, wie gut jemand antwortet – und hier haben sich zwei getroffen, wo es funktioniert hat. Heidbreder jedenfalls antwortet wunderbar, auch sehr fundiert über die Psychologie des guten Schlafs.

Besonders gefreut hat mich, dass die Neurologin Anna Heidbreder sich traut, den gängigen schlechten Schlaf mit dem zusammenzudenken, wie unsere Gesellschaft so tickt: „Wir möchten ständig unser Leben optimieren, auch den Schlaf“, sagt sie, um die verbreitete Unfähigkeit zum Abschalten zu erklären. In meinen eigenen Schlafschule-Seminaren habe ich auch immer wieder Menschen erlebt, die es ernsthaft erzürnt, von einer grundlegenden Erkenntnis zum Schlaf zu hören: Der Schlaf ist tatsächlich etwas, was sich nicht willentlich optimieren lässt, schon gar nicht, indem man sich darauf konzentriert. Er wird nur dann gut, wenn wir ihn bzw. die Biologie nicht mit unseren Vorstellungen behelligen. Ein bisschen hochtrabend ausgedrückt: er ist gut, wenn wir das Leben selbst machen lassen.

Heidbreder sagt auch eindeutig, wie unsinnig, ja geradezu kontraproduktiv es ist, den eigenen Schlaf zu tracken. „Einfach mal abschalten“ – dieser wichtigste Weg zum guten Schlaf lässt sich weder mit Optimierung vereinbaren noch mit dem, was heutzutage zur Optimierung gehört: Tracking jeder Art. Schlafen ist das Gegenteil von Leistung.Er ist nicht Tun, sondern Lassen. Wie schön, dass das jemand Professionelles sagt. Noch dazu jemand aus dem DGSM-Vorstand. Danke!

Schlafen nach Flucht und Trauma

In unglaublich vielen Projekten kümmern sich hierzulande Leute ehrenamtlich um Geflüchtete, unterstützen sie und arbeiten mit ihnen. Wie viele es genau sind, ist unbekannt, längst nicht alle sind registriert. Wenn man bedenkt, wie mies nach dem Krieg die Flüchtlinge aus dem Osten behandelt wurden, hat sich das offensichtlich positiv verändert.

Schlaf und Ehrenamtliche mit Helfersyndrom

Trotzdem sind nicht alle Helfenden wirklich geeignet. Einige unterrichten, begleiten oder verteilen Dinge vor allem deshalb, weil sie sich dann selbst gut fühlen. Das nannte der Münchner Psychotherapeut Wolfgang Schmidbauer schon vor vielen, vielen Jahren „Helfersyndrom„. Manche regen sich über diese Leute auf, doch es hilft nichts:Wir brauchen sie alle.

Tatsächlich können solche „hilflosen Helfer“, die psychologisch unzureichend ausgebildet sind, Geflüchteten auch schaden. Eines der Themen, wo das geschieht, ist der Schlaf. Immer wieder höre ich von Helfern verständnisinnig, „ihre“ Schützlinge könnten für den Vormittag keine Termine vereinbaren, weil sie dann schliefen. „Endlich. Nachts geht es doch so schlecht.“

Flucht: Zu laut im Schlafraum und Schlafstörung

Sonnenuhr mit Weckglocke

11 Uhr – da sollte die Glocke schon längst geweckt haben

Dieses „Verständnis“ ist ehrenwert, aber unprofessionell. Wer die Sache professionell angeht, berücksichtigt die Ergebnisse der Schlafforschung über Schlafstörungen und Schlaftherapie. Die sagt: Es ist normal, wenn Menschen in einem großen Raum schlecht schlafen, den sie mit vielen anderen teilen müssen (mehr hier). Dort schläft man schlecht ein, weil es zu laut ist und man sich nicht sicher fühlt. Wenn dann die Betroffenen morgens nicht aufstehen „können“ und in den Vormittag hineinschlafen, ist das aktuell ungesund. Langfristig können solche Schlafrhythmen aber die zirkadiane Rhythmik richtig verschieben. Und das züchtet oft genug eine echte Schlafstörung. Professionelle Helfer, die sich ein bisschen mit Schlaf auskennen, würden die Leute deshalb morgens wecken und auch sonst eine klare Tagesstruktur ermöglichen oder sogar vorgeben. Das schützt den guten Schlaf, und damit Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit der Geflüchteten.

Schlechter Schlaf durch psychisches Trauma

Das zweite ist, dass ungewöhnliches Schlafverhalten auf eine posttraumatische Belastungsstörung, PTBS, hinweisen kann. Zur PTBS gehören fast immer Schlafprobleme. Mindestens jede/r zweite Geflüchtete leidet unter einer PTBS (inzwischen gut belegt), gerade Jugendliche. Einige jedoch verbergen ihre PTBS-Symptome, sie wollen unter keinen Umständen als psychisch krank gelten. Professionelle Hilfe bräuchten sie trotzdem. Das muss nicht immer eine längere Psychotherapie sein. Aber sie brauchen professionelle Ansprechpartner, und sei es online.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Schlafstörung als PTBS-Indikator

Nur – wie bekommt man ihren psychischen Zustand heraus, wenn sie ihn systematisch kaschieren wollen? Schon vor drei Jahren erschien eine wissenschaftliche Arbeit dazu. Die Autoren Israel Bronstein und Paul Montgomery untersuchten knapp 200 (unbegleitete) jugendliche Asylbewerber aus Afghanistan, die in London lebten. Die PTBS-Betroffenen unter diesen Jugendlichen schliefen deutlich schlechter als alle anderen. Man könnte also einfach alle eine Woche lang aufschreiben lassen, wie sie schlafen. Wer besonders schlecht schläft – kurzer Schlaf, spätes Einschlafen, Aufschrecken aus Alpträumen – sollte die Möglichkeit bekommen, mit einem Profi zu sprechen. So könnten Schlaf, Schlafqualität und gestörter Schlaf systematisch als Indikatoren für PTBS dienen. Man könnte schneller, professioneller und nachhaltiger helfen. Und so verhindern, dass die unbegleiteten jungen Flüchtlinge auf Dauer psychisch krank werden. Nur wenn sie pyschisch gesund sind, werden sie nämlich Schule und Ausbildung schaffen.

Psychische Gesundheit von Flüchtlingen

Wer momentan irgendetwas über Flüchtlinge sagt, landet schnell in der einen oder anderen Schublade. Meine Perspektive ist ja der Schlaf, und die mag beim Thema Flüchtlinge manchen völlig abgefahren vorkommen. Doch mir scheint, eine klinische Perspektive kann einiges erhellen. Und ich bin nicht allein mit diesem Blick auf die Psyche.

Rettung IsarWie viele Flüchtlinge sind psychisch krank?

Schon im September schlug die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, kurz DGPPN, Alarm: 60 Prozent der Flüchtlinge, also mehr als jeder zweite, würden unter einer Depression oder einer Angststörung leiden. Mit dabei in den meisten Fällen: gestörter Schlaf. Ob die Zahl 60 wirklich stimmt, sei dahingestellt. Die Behörden kennen ja nicht einmal die Anzahl der seit August in Deutschland angekommenen Flüchtlinge genau, wie sollen sie da über gesundheitliche Spezifika bescheid wissen? Doch egal wieviel Prozent: die absolute Zahl ist ganz sicher sechsstellig.

Auch psychisch kranke Flüchtlinge angemessen behandeln

Die DGPPN fordert, dass die psychisch Erkrankten unter den Flüchtlingen fachgerecht psychiatrisch-psychotherapeutisch behandelt werden können. Das ist momentan nicht der Fall: Flüchtlinge haben nur ein Recht auf die Behandlung akuter Erkrankungen. Und da sind Suizidalität und andere akute psychische Probleme offiziell ausgeklammert.

Neues Berliner Programm für Flüchtlinge mit psychischen Störungen

Gestern stellte nun die Psychologische Hochschule Berlin (PHB) ein Modellprojekt vor, in dem sie und die Berliner Charité psychisch belastete Flüchtlinge erstversorgen wollen. Ehrenamtlich. In der Charité ist die Oberärztin Meryem Schouler-Ocak zuständig, die außerdem das DGPPN-Referat für Interkulturelle Psychiatrie leitet. In der PHB ist Eva-Lotta Brakemeier verantwortlich, Professorin für Klinische Psychologie. Das Arbeitsministerium hat das geplante Projekt zur psychotherapeutischen Kurzbehandlung von Flüchtlingen „genehmigt“ – will sagen: Die Politik nimmt es rechtlich unter ihre Fittiche, zahlt aber nichts. Psychisch belastete Flüchtlinge sollen dabei zwei Monate lang eine erste professionelle Unterstützung bekommen. Psychologen, Ärzte, Sozialarbeiter und Ergotherapeuten haben sich bereits zur Verfügung gestellt. Zwei Monate pro Flüchtling sind vorgesehen. Wer dann noch nicht stabil ist, soll weiter vermittelt werden, genau wie traumatisierte Flüchtlinge, für die eine Kurztherapie ohnehin nicht ausreicht. Sogar Dolmetscher haben sie offenbar gefunden.

Brauchen Flüchtlinge Psychotherapie?

Egal, wie viele Flüchtlinge genau betroffen sind: Eine psychische Erkrankung (auch eine Schlafstörung) löst sich selten in Luft auf. Sie vergeht vor allem bei Menschen nicht von selbst, die unter extremen Bedingungen leben, in Massenunterkünften etwa und mit sehr unsicheren Zukunftsperspektiven. Wer akut psychisch krank oder extrem stark belastet ist, ist nicht arbeitsfähig. Er oder sie sollte deshalb das gleiche Recht auf Behandlung haben wie jemand mit Grippe oder einem gebrochenen Bein. Das ist basale Krankenversorgung. Sie kann verhindern, dass jemand auf Dauer arbeitsunfähig wird.

Diverse Ökonomen betrachten Flüchtlinge vorwiegend unter Nützlichkeitsaspekten. Sie reden von Fachkräften, was wohl längst nicht alle Flüchtlinge sind. Doch möglichst alle sollen sofort „in den Arbeitsmarkt integriert“ werden, ohne Mindestlohn und ohne psychische Unterstützung. Eine ziemlich enge Perspektive, und unrealistisch noch dazu. Psychisch Kranke werden in der Arbeitswelt nämlich immer noch durchgehend massiv benachteiligt, auch in Zeiten, wo es ihnen gut geht. Die DGPPN dokumentierte das früher in diesem Jahr. Was PHB und Charité da planen, wird den Betroffenen viel mehr gerecht. Die klinische Perspektive mag manchen eng scheinen. Sie ist aber realistisch und fördert so die Integration grundlegend. Sie ist also viel weiter als die ökonomische Sicht. Die ja schon den Schlaf nicht immer als das betrachtet, was er ist: existentiell.