Warum müssen wir schlafen? – Benedikt XVI trat wegen „Schlaflosigkeit“ zurück

Kammerspiele München 2015

„Schlafen kann ich noch, wenn ich tot bin“ – Rainer Werner Fassbinders einschlägiger Spruch ist so legendär wie absurd. Wir wissen alle, dass wir schlafen müssen. Doch seit die Menschheit über sich nachdenkt, fragt sie sich, warum, nicht zuletzt, weil sich viele wie Fassbinder dadurch in dem beschnitten fühlen, was sie „frei“ nennen. Die Folge bis heute: gerade in den reichen Ländern gibt man damit an, wenn man wenig schläft. Die notwendige Kehrseite: man verachtet den Schlaf.

Wie die Wissenschaft nach dem Sinn des Schlafs sucht

Die Schlafforschung hat sich von Anfang an auch mit der Frage nach dem Sinn des Schlafs beschäftigt. Doch gute Antworten ließen auf sich warten. Bis in die 1970er-Jahre hinein wurde sogar ernsthaft eine ziemlich schräge Idee Benjamin Franklins diskutiert: Der hielt den Schlaf für ein unsinniges Überbleibsel der Evolution, das sich mit der elektrischen Beleuchtung von selbst erledigen würde.

Fehlanzeige. Etwas stimmt trotzdem: wir schlafen heute etwas weniger als unsere Vorfahren um die letzte Jahrhundertwende. Aber wir schlafen. Warum? Leider beantwortet die Natur derart pauschale Fragen nicht. Da muss man sie schon präziser befragen. Die erste „Übersetzung“ der Warum-Frage hieß „Ab welcher Wachdauer stirbt man?“ Diese Übersetzung war zu platt. Man hatte Schlaf als eine Art Stoffwechsel missverstanden. Wenn wir bestimmte Stoffe eine Weile nicht bekommen, sterben wir. Beim Sauerstoff dauert das Minuten, beim Wasser Tage und bei Nährstoffen Wochen. Beim Schlaf aber ist eine solche Frage viel zu mechanistisch. Da es beim Schlaf keinen „Stoff“ gibt, steht die Frage gewissermaßen auf dem Kopf.

Es war die Chronobiologie, die sie auf die Füße stellte. Der Schlaf ist nämlich Teil eines chronobiologischen Prozesses. Und wenn der nicht läuft, wie er sollte, passiert allerlei Missliches. Die Chronobiologie sieht für die meisten von uns vor, dass wir sieben bis acht Stunden schlafen, qualitativ gut (was das ist, steht an mehreren Stellen dieses Blogs, z.B. hier) und in der Nacht. Tun wir das nicht, dann fangen wir uns etwa leichter Infektionen ein; falls wir akut krank werden, dauert die Genesung länger; und langfristig steigt das Risiko für viele chronische Erkrankungen, was die Lebenserwartung tatsächlich verkürzt. Aber eben nicht sofort.

Kurzfristig ist etwas anderes beeinträchtigt: unsere psychische Stabilität und unsere Leistungsfähigkeit, die körperliche wie die geistige. Immer. Von Hochleistung ganz zu schweigen.

Benedikt XVI – leistungsunfähig durch Schlaflosigkeit

Genau das hat ausgerechnet Papst Benedikt XVI, bürgerlich Joseph Ratzinger, verstorben an Sylvester 2022, ernst genommen. Für einen Mann der Kirche ist das nicht selbstverständlich, ist doch der Schlaf der Jünger am Ölberg ein Negativ-Topos des Christentums, der schon viele dazu brachte, den Schlaf zu verachten.

Zwei schlafende Jünger. Ferrara

Dieser Tage jedenfalls ging es durch die Presse, und zwar nicht nur durch die Kirchenpresse, sonder querbeet von der Süddeutschen bis zur Welt, vom Bayerischen Rundfunk bis zur Tagesschau, vom Boulevard bis zu Wochenmagazinen. Demnach lüftete Benedikt kurz vor seinem Tod das Geheimnis, das knapp zehn Jahre über seinem Rücktritt lag. Den hatte er mit „gesundheitlichen Problemen“ begründet, die seine Amtsführung beeinträchtigen würden. Nie hatte er sagen wollen, welche das waren.

Ich persönlich finde es rührend, dass er kurz vor seinem Tod in einem Brief an Peter Seewald mit der Sprache herausrückte. „Schlaflosigkeit“ sei es gewesen. Benedikt soll von seinem Leibarzt sogar „starke Mittel“ bekommen haben, um überhaupt zu schlafen. Kein Wunder, dass sie ihn tagsüber leistungsunfähig machten, egal, welche es waren. Schlafmittel bringen einen entweder zum Schlafen, dann bleibt man tagsüber oft genug müde. Oder sie nützen nicht viel, dann schläft man schlecht und ist tagsüber auch nicht leistungsfähig. Schlafmittel sind leider nur äußerst selten ein Mittel der Wahl – sagen selbst die Apotheken-Profis.

Ein Hoch jedenfalls auf Benedikt und sein posthumes Bekenntnis zu seinen Schlafproblemen als Krankheit! Wie schön wäre es, wenn seine „Schlaflosigkeit“ dazu beitragen könnte, das Ansehen des Schlafs zu heben.

Zu Navid Kermani: Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott

Beten, Gott und alles das – auf einem Schlafblog? Scheint richtig weit auseinander, ist es aber nicht. Schließlich kann uns vieles am Schlafen hindern, ganz besonders Grübeln, Aufregung oder das Hadern mit sich selbst. Und zu den Wegen, das aufzulösen, gehört Meditieren, wozu man durchaus auch manche Gebetsformen zählen kann, Rezitieren etwa, Singen und sogar Tanzen. In Navid Kermanis neuestem Buch „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näherkommen. Fragen nach Gott“ geht es allerdings eher um die Meta-Ebene des Betens: Allabendlich spricht Vater Navid mit seiner zwölfjährigen Tochter über den Gott, der im Zentrum seines Betens steht. Danach soll das Kind natürlich gut schlafen, also entspannt sein und nicht über schwierige Dinge nachgrübeln.

Das Cover – kalligraphisch

Kermani will die Tochter seine Religion persönlich lehren, den Islam. Schließlich lernt sie in ihrem katholischen Religionsunterricht höchstens die katholische Sicht darauf (das sagt er nirgends; allerdings bleibt unklar, warum sie den überhaupt besucht). Die Gespräche sollen dem Mädchen den Islam des geliebten, aber verstorbenen Opas nahebringen und ihre Zweifel zerstreuen. Kermani ermuntert sie, Fragen zu stellen, und das tut sie. Ihre Fragen sind klug und ungewöhnlich erwachsen, sie betreffen Historisches, Naturwissenschaften und alle Religionen. Der Schriftsteller-Papa erzählt Geschichten: über den Koran und die Tradition, über Mohammed und Koran-Gelehrte, über die arabische Sprache und über Oma und Opa, die ihre Heimat Persien verließen, bevor es Navid gab. Einiges erzählt er auch über Biologie, Physik und über die monotheistischen Religionen. Dünn wird es bei den nicht-monotheistischen, da referiert er tendenziell bekannte Märchen europäischer Nabelschau.

Qua Beruf und Herkunft darf sich Navid Kermani in Scheherezades Tradition sehen, wobei er sein Gegenüber sicher nicht wachhalten will, wie es die legendäre persische Königin tausend und eine Nacht lang tat, um nicht von ihrem Gemahl ermordet zu werden. Der Papa sagt dem Kind sogar, es wäre ihm am liebsten, wenn es nach dem allabendlichen Gespräch gegen zehn Uhr schlafen würde (was für zwölf Jahre nicht früh ist). Meist wird es trotzdem elf Uhr. Bewegt sich die Tochter also schon in anfangspubertärer Weise Richtung Abendtyp? Oder halten Papas Geschichten das Kind unabhängig vom biologischen Rhythmus auch hinterher noch wach?

Kermani hält den Islam für richtiger als das Christentum, beinhart „bezeugt“ er Mohammed als den letzten und damit (end-)gültigen Propheten. Judentum und Christentum kann er trotzdem tolerieren. Nicht nur, weil alle drei den gleichen Gott haben, sondern auch, weil sie eine lineare Zeitvorstellung teilen. Die hält er für besser als die zyklisch-rhythmische der meisten Nicht-Monotheisten, wo eintönig das ewig Gleiche immer wiederkehre, ohne dass es eine Entwicklung gäbe. Dabei weist er auf etwas äußerst Interessantes hin: Religionen mit einer zyklischen Zeitvorstellung blickten mehr auf die Geburt, während die monotheistisch-linearen den Schwerpunkt auf den Tod legen würden. Warum? Sie wollen ihn „besiegen“. Das findet Kermani nicht erstaunlich, sondern großartig. Wobei der Papst sagen würde: stimmt nicht. Die Christen wollen den Tod nämlich gar nicht mehr besiegen. Sie „bezeugen“, dass Jesus das bereits erledigt hat, und zwar für alle Menschen. Könnte es sein, dass eine Zwölfjährige da ins Grübeln kommt? Und dass es ihr den Schlaf rauben könnte, wenn sie den Tod „besiegen“ soll statt das rhythmische, also zyklische Leben zu feiern?

Ein besonderer Graus ist Kermani die nontheistische Weltreligion, die aus europäischer Perspektive das Etikett „Buddhismus“ trägt (in Asien sagen sie dazu meist Buddhas Lehre oder Buddhas Weg). In traditioneller christlicher Weise tut er den Buddhismus als „abgrundtief pessimistisch“ ab. Vielleicht hält er ihn auch für polytheistisch, das kann einem einfallen, wenn man sich religionswissenschaftlich nicht so gut auskennt. Polytheismus jedenfalls, erklärt Kermani seiner Tochter völlig selbstverständlich, sei die „einzige Sünde“, die der islamische Gott „niemals verzeiht“. Hier kann die Tochter nicht mitgehen, will sie doch allen Menschen ihren eigenen Blick auf die Welt zugestehen, wie man das in ihrem Freundeskreis tut. Das Befremden darüber, dass es unverzeihlich sein soll, wenn Menschen das Göttliche oder Heilige in vielen Gestalten sehen (dass die oft weiblich sind, erwähnt Kermani nirgends), könnte sie durchaus in den Schlaf verfolgen.

Auch die Gewaltfrage im Koran verstört das Kind, und auch die kann der gläubige Vater nicht auflösen. Er zieht sich darauf zurück, dass die Koransuren zur Gewalt eben „nicht jugendfrei“ seien und sowieso erst „geoffenbart“ wurden, als die Mekkaner Mohammed gewissermaßen für verrückt erklärten und stur an ihrer traditionellen Religion festhielten. Dem musste er dann halt mit Gewalt begegnen. Segen von oben inbegriffen. Und?

Wann ist eine Geschichte schlaffreundlich? Wenn sie spannend ist, aber nicht aufregend, wenn man sie unangestrengt und leichten Herzens versteht, wenn sie gut ausgeht und keine existenziellen Widersprüche beinhaltet. Vielleicht ist die abendliche Geschichtensituation ja nur Kermanis dichterischer Freiheit geschuldet, schließlich erlaubt das, wissenschaftlich eigentlich nötige Argumente auszulassen, weil Zwölfjährige sie falsch verstehen würden. Doch in dieser Erzählsituation gibt es diese Zwölfjährige. Und die ist am Schluss tatsächlich nicht überzeugt. Vielleicht liegt es auch daran, dass manche der Geschichten sie nicht schlafen ließen.

„Einzig und allein mein Fehler“ – Chronobiologie einer Entscheidung

Eine „Osterruhe“ hatten sie geplant, Kanzlerin und MPs, um die dritte Corona-Welle in den Griff zu bekommen. Dann der Knall: gestern mittag nahm Angela Merkel das Ganze zurück. Am Tag nach der überlangen Digitalsitzung hatte die Verwaltung festgestellt, dass sich fünf statt drei „Osterfeiertage“ rechtlich nicht organisieren lassen. Abgesehen davon, dass eine Maßnahme mit zehn Tagen Verzögerung sowieso nicht mehr das bewirken kann, was man vielleicht an Tag Null erwarten könnte.

Chronobiologie und die Osterruhe-Entscheidung

Nun geht es auf diesem Blog vorrangig um Schlaf und Chronobiologie, nicht um Mathematik oder Epidemiologie. Doch das Wissen aus Schlaf und Chronobiologie hat etwas ziemlich Basales beizutragen zu dieser „Osterruhe“-Geschichte und der Tatsache, dass sie in der Nacht erfunden wurde. Das ist noch dazu extrem gut abgesichert. Es will bloß selten jemand hören – Stichwort 24/7-Gesellschaft.

Kanzlerin Merkel und die MPs trafen sich natürlich digital, und zwar am frühen Nachmittag. Mehr als zwölf Stunden später – sie hatten erheblich länger getagt, als nach Arbeitsschutzgesetz zulässig – gingen sie vor die Presse und berichteten unter anderem über die „neuen“ Feiertage. Es war halbdrei Uhr nachts.

Tageszeiten, Müdigkeit und Chronobiologie

Leider sind die zwei Stunden um halbdrei nachts herum chronobiologisch ungefähr der allerschlimmste Zeitraum, um geistig leistungsfähig zu sein. Da ist die Körpertemperatur am niedrigsten, die Stimmung schlechter als sonst und die Denkfähigkeit sowieso im Keller. Nicht einmal gesunde Abendtypen sind da noch fit. Um diese Zeit machen Menschen die meisten Fehler, egal bei welcher Tätigkeit. Sogar fast alle großen Katastrophen, die auf „menschliches Versagen“ zurückgingen, fanden um diese Tageszeit statt – von Tschernobyl und Exxon Valdez bis zu den meisten spektakulären Verkehrsunfällen. Grund: Unaufmerksamkeit wegen Müdigkeit und Mikroschläfchen. Natürlich versuchen immer einige „vorzuschlafen“. Leider funktioniert das nicht wirklich: Schlaf lässt sich nicht bunkern. Die Literatur dazu habe ich mal auf ZEIT-online zusammengefasst.

Kein Zeitpunkt für Entscheidungen – Übermüdet vor Milano Centrale

Außerdem waren um halbdrei (fast?) alle seit mehr als 20 Stunden wach. Nach so langer Zeit ist die Konzentration bereits unabhängig von der Tageszeit schlechter. Wer 21 Stunden wach war, ist so leistungsfähig wie mit 0,65 Promille Alkohol im Blut. Darf man damit noch Autofahren? Seit 2001 nicht mehr, und das mit Recht. Nach 22 Stunden bringt man es auf eine Konzentration wie bei 0,8 Promille Alkohol (genauer: hier). Damit durfte man seit 1973 nicht Autofahren.

Nächtliche Entscheidungen oft schlecht

Deshalb wundert es mich nicht sonderlich, wenn in einem solchen mentalen Zustand niemand wirklich rauszufinden versucht, ob es überhaupt machbar ist, mal schnell einen zusätzlichen „Feiertag“ zu dekretieren. Egal wie „hochkarätig“ und „leistungsstark“ Politiker sein mögen: Sie sind Menschen, also biologische Wesen und keine Maschinen. Auch ihr Urteilsvermögen ist um halbdrei nachts erheblich schlechter als tagsüber. Jetzt hat sich Merkel entschuldigt, eine durchaus noble Geste. Besser wäre, alle hätten sich verpflichtet, kürzer zu tagen. Noch besser: nachts schlafen gehen. Damit sie danach mit klarem Kopf entscheiden können. Doch dieser Zug der biologischen Vernunft scheint abgefahren.

Sonne, Licht und Chronobiologie

Morgensonne in Varanasi, Uttar Pradesh, Indien – gerade am Aufgehen

Kāshi, Benāres oder Varānasi – die Stadt mit den drei Namen am Ufer der Ganga (auf Deutsch: Ganges) ist seit mehr als 5000 Jahren ununterbrochen bewohnt. Und seit damals feiern dort täglich Menschen den Sonnenaufgang als spirituelles Ereignis, nicht einige, sondern Tausende. „An kaum einem Ort in der Welt“, schreibt Diana Eck in ihrem Standardwerk „Banāras – City of Light“, „kann man etwas wie den Glanz erleben, den die Sonne ausstrahlt, wenn sie über dem Fluss aufgeht.“ In Indien ist Varānasi, die „Stadt des Lichts“, einer der heiligsten Orte überhaupt. Und weltweit sind viele solcher Orte den Menschen ähnlich heilig.

Nicht sehr viel später – die Sonne in Varanasi

Das Licht der Sonne

Bevor es elektrisches Licht gab, kam das Licht von der Sonne und nur von ihr. Die Sonne „verursacht“ nicht nur, was wir als Tag und Nacht sehen und erleben, sie ermöglicht das Leben auf der Erde überhaupt. So wurde sie als Quelle des Lebens auch religiös verehrt (später wurde sie zur weiblichen Gottheit, noch später zur männlichen). Auf der ganzen Welt feiern oder feierten Menschen die Sonne, in Kāshi-Varanasi oder am Gipfel des Samanaḷa Kanda (Adam‘s Peak) auf Sri Lanka, in Mesopotamien oder Ägypten, in Japan oder Süd-Amerika, im englischen Stonehenge oder in Pömmelte-Zackmünde bei Magdeburg.

In Pömmelte hat man vor einiger Zeit die Fundamente einer Rundanlage ausgegraben, die inzwischen als das mitteleuropäische Stonehenge gilt: 4.300 Jahre alt und in gleicher Weise wie Stonehenge auf den Stand der Sonne vor allem zu den Sonnenwenden ausgerichtet. Nur war Pömmelte nicht aus Steinen gebaut, sondern aus Holz – weshalb man nur die Fundamente ausgraben konnte. Darauf hat man dann die Anlage quasi als Museum neu errichtet.

Licht und Finsternis

Die drei monotheistischen Religionen ehren die Sonne nicht (mehr), aber sie benutzen Lichtmetaphern. Die hebräische Genesis berichtet lapidar-wuchtig, wie Jahwe das Licht erschuf (Joseph Haydn hat das in seinem Oratorium „Die Schöpfung“ kongenial in Musik übersetzt). Jesus bezeichnet sich selbst und seine Anhänger als „Licht der Welt“. Und im Koran hat der Glaube selbst Lichtqualitäten.

Alle drei sehen die Dunkelheit tendenziell negativ, die beliebte Übersetzung „Finsternis“ lässt einen sowieso frösteln. Wen wundert‘s, dass unsere Vorfahren diese Finsternis „vertreiben“ wollten? Zuerst im übertragenen Sinne, dann auch praktisch. Mit dem elektrischen Licht haben wir Menschen es „geschafft“, die Natur mal wieder flächendeckend zu „besiegen“. Nebenwirkungen wie üblich eingeschlossen.

Chronobiologie – die Biologie der Zeit

Die Chronobiologie untersucht, wie biologische Organismen auf die Zeit der Erde reagieren, allem voran, wie es sich mit dem Schlaf verhält, aber auch mit anderen physiologischen und psychologischen Gegebenheiten. Die Zeit, die wir wahrnehmen, beruht darauf, dass sich die Erde in 24 Stunden einmal um sich selbst dreht und dabei immer nur teilweise von der Sonne beschienen wird. Ergebnis: Licht und Dunkelheit wechseln sich regelmäßig ab.

Die Chronobiologie ist jünger als die Schlafforschung, und über einige chronobiologische Ergebnisse habe ich in diesem Blog schon berichtet. Das Wichtigste: Wir sind evolutionär so an den Wechsel von Tag und Nacht angepasst, dass wir beides brauchen, helles Licht, mäßiges Licht und Dunkelheit, und deren regelmäßige Abfolge. Wir brauchen morgens helles Licht, um wirklich wach zu werden, am besten die Sonne. Tagsüber brauchen wir es genauso, nur dann bleiben wir wach, emotional ausgeglichen und geistig fit.

Auch Dunkelheit ist biologisch notwendig

Umgekehrt brauchen wir auch die Dunkelheit, um gut zu schlafen, und dafür taugt die Nacht besser als jede technische Verdunkelung. Folgerichtig ist die übliche nächtliche Beleuchtung Gift für alle Lebewesen. Der (auch) chronobiologische Fachbegriff: Lichtverschmutzung (hier die Einleitung des in der SZ zitierten PNAS-Heftes). Es stört zwar manche Zeitgenossen nicht weiter, dass es auch unsere Lichtverschmutzung ist, die Insekten umbringt; doch sie macht uns halt auch selber krank, was die Chronobiologie längst belegt hat.

Die Lichter in Nachbars Garten – Horror für die Fauna

Trotzdem ist das chronobiologische System nicht starr, deshalb können wir gefahrlos eine Nacht durchmachen oder über Zeitzonen hinweg reisen. Heute allerdings überdehnen wir diese Flexibilität meistens – jedenfalls außerhalb von Corona. Aber dieses Virus ist auch chronobiologisch eine andere Geschichte.


Schlafblog, Corona und das Leben

Seit einem Jahr habe ich hier nichts geschrieben, Corona hat mir ein bisschen die Schlaf-Sprache verschlagen. Nachdem uns Covid19 aber noch länger begleiten wird, Impfstoffe hin oder her, fange ich wieder an. Abgesehen davon, dass diese Corona-Erkrankung nicht die letzte Zoonose sein wird.

Positiv an dieser Seuche erscheint mir, dass die Leute nicht arbeiten gehen, wenn sie krank sind, außer vielleicht ins sogenannte Home-Office. Außerdem meldet die Ärzteschaft, dass es heuer kaum Grippefälle gibt, was auf die AHA-Regeln zurückgehen dürfte – Abstand, Händewaschen und Atemmasken halten offenbar auch andere Kleinstlebewesen davon ab, von einem Menschen zum nächsten zu hüpfen.

Corona psychologisch

Das Bild der Seuche – die Maske

Der Rest ist weniger schön: die staatlichen seuchenpolitischen Maßnahmen strangulieren die Profi-Kultur (während der Profi-Fußball weitergeht, das verstehe, wer will), Soloselbständige und kleinere Unternehmen werden pleite gehen, Paketfluten, häusliche Gewalt und Armut haben schon zugenommen, Verschwörungstheorien auch.

Vermutlich kann man es nicht wirklich richtig machen, schon deshalb möchte ich noch weniger als sonst in der Haut der Regierenden stecken. Eins könnten sie aber sehr wohl vielleicht nicht völlig richtig, aber doch erheblich besser machen: die offizielle Kommunikation, allem voran, wie die Public-Health-Maßnahmen begründet werden – denn das ist definitiv nicht professionell genug. Und wenn Quarantäne-Pflichtige von den Gesundheitsämtern Briefe bekommen, die sich lesen, als kämen sie direkt aus einer wilhelminisch-obrigkeitsstaatlichen Schreibstube, dann unterminiert das in mehr als fahrlässiger Weise, was unerlässlich ist: Eigenverantwortung.

Neuer Untertitel für mein Schlafblog

Was ich erstaunlich finde: Vor einem Jahr wären sicher die wenigsten Landsleute auf die Idee gekommen, in der besten aller Welten zu leben. Heute scheinen sie sich flächendeckend danach zu sehnen, dass alles wieder wird wie „früher“.

Da traf man sich und fiel sich in die Arme und um den Hals, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob unter den Viren & Co., die man weitergab, vielleicht auch gefährliche sein konnten. Manche sahen ihren Lebenssinn im „Feiern“, und wer Lust hatte, flog für 20 Euro nach „Malle“ oder für ein paar mehr nach New York. Und so kam es, dass viele Menschen Shoppen, Feiern, Wellness, Lifestyle und Schönheit für das Wichtigste im Leben hielten.

Leider konnte man den Untertitel meines Schlafblogs, nämlich „Gut schlafen, gut leben, gut denken“, als Lifestyle-Motto missverstehen. Als hätte ich genau diese Gruppe ansprechen wollen. Das war natürlich nicht so, im Gegenteil. „Gut leben“ kann nämlich manchmal – auch das ist Wissenschaft – das Gegenteil dessen heißen, was sich ein Shoppen-Lifestyle-Party-Kopf so ausdenkt.

Sonnenuhr – traditionell misst sie die Zeit.
Hier die am Rathausturm in Würzburg

Neu: Schlafblog – 24 STUNDEN LEBEN

Ausgerechnet in Corona-Zeiten erscheint es noch unpassender als „früher“, würde jemand mein Blog mit Lifestyle assoziieren. Der neue Untertitel 24 STUNDEN LEBEN nimmt deshalb direkter in den Blick, dass wir übers ganze Leben gerechnet gerade mal zwei von drei Stunden nicht schlafen. Was immer wir in diesen zwei Dritteln des Lebens tun, gut werden wir es nur machen können, wenn wir zuvor geschlafen haben.

Ein Tag dauert so lange wie die Erde braucht, bis sie sich einmal um sich selber gedreht hat. Diesen Tag haben Menschen in 24 Stunden eingeteilt. Wir leben in all diesen 24 Stunden – wir füllen sie mit Leben. Deshalb: Schlafblog – 24 stunden leben, oder auch: 24 STUNDEN LEBEN.

Eigentlich ist die Sache mit Schlafen und Wachen völlig einfach. Wir können nicht wach, aktiv und klar im Kopf sein, wenn wir zu lange nicht geschlafen haben. Aber wir können auch nicht schlafen, wenn wir nicht lange genug wach waren.

Chronobiologie: Licht und Dunkel, Wachen und Schlafen

Gleichzeitig sind Schlafen und Wachen eng mit der Sonne verbunden, mit Licht und Dunkelheit, also mit der Zeit auf der Erde. Die Chronobiologie ist die Biologie der Zeit und untersucht, wie die Zeit die Lebewesen beeinflusst. Auch uns Menschen.

Wir sind tagaktive Lebewesen, die Licht und Sonne brauchen und mit der Dunkelheit Probleme haben. Es beginnt damit, dass wir dann extrem schlecht sehen. Sämtliche Spuren früherer Generationen zeigen, dass Menschen immer schon über das Licht nachgedacht, es gefeiert und sogar religiös überhöht haben. Die Kehrseite: die Dunkelheit wurde abgewertet. Das hat sich bis heute in der Sprache niedergeschlagen, etwa in Wörtern wie schwarzfahren, Schwarzgeld oder Schwarzbuch (es ist eine Kinderetymologie, das mit Hautfarbe zusammenzubringen).

Unsere Vorfahren haben auch immer versucht, die Nacht zu erleuchten, mit Feuer, Kerzen oder Gaslicht. Seit einiger Zeit gibt es die elektrische Beleuchtung, sie ist heute so flächendeckend, dass man sie aus dem All erkennen kann. So schuf der Menschheitstraum „Licht in der Nacht“ nciht nur Probleme für die Tiere, sondern auch für uns selbst. Eins können wir nämlich im Dunkeln viel besser als im Hellen: schlafen. Und das müssen wir unbedingt.